Im ersten Teil meines Spinn-Tagebuchs habe ich erzählt, wie ich mit der Handspindel meine allerersten Fäden gesponnen habe. Das ging langsam, ungleichmäßig, aber mit großer Faszination. Jede Drehung brachte mich dem Verständnis der Faser ein Stück näher.
Nun geht es einen Schritt weiter: vom Spinnen in der Hand zum Spinnen mit dem Rad. Ein altes Spinnrad durfte wieder zum Leben erwachen und mich in eine neue, rhythmische Bewegung führen. In diesem Beitrag erzähle ich, wie aus dem ersten Zögern fließende Routine wurde, was ich beim Spinnen gelernt habe und warum das Rad für mich mehr ist als nur ein Werkzeug.
1. Ein altes Spinnrad erwacht
Nach den ersten Erfahrungen mit der Handspindel kam der nächste Schritt fast von selbst. Das Spinnrad. Ich hatte das Glück, ein älteres Modell geliehen zu bekommen. Solide gebaut, aber etwas in die Jahre gekommen. Bevor ich damit loslegen konnte, musste ich es erst einmal gründlich reinigen.

Zwischen Holz und Metall hatte sich Staub angesetzt, das Antriebsband hat gefehlt, und die Spulen liefen nicht ganz rund. Also hieß es: auseinandernehmen, ölen, nachjustieren. Ein bisschen wie bei einer alten Nähmaschine. Geduld, ein Tuch und etwas Pflege bringen erstaunlich viel Leben zurück.
Als sich das Schwungrad schließlich wieder leichtgängig drehte und das Pedal gleichmäßig lief, war der Moment gekommen. Das Spinnrad war bereit. Und ich auch.
2. Die ersten Versuche am Spinnrad
Die Umstellung von der Handspindel auf das Spinnrad war größer, als ich erwartet hatte. Alles bewegt sich gleichzeitig. Hände, Füße, Rad, Faden.
Zu Beginn drehte sich der Faden ständig zu stark oder gar nicht. Manchmal wickelte er sich zu schnell auf, manchmal gar nicht. Doch mit jedem Versuch kam mehr Gefühl in die Bewegung. Der Rhythmus stellte sich fast von allein ein.

Und dann war er da, dieser magische Moment. Das Rad lief ruhig, der Faden floss gleichmäßig zwischen den Fingern hindurch, und ich spürte, wie die Wolle sich in weiche Drehung verwandelte. Plötzlich war Spinnen kein Kampf mehr, sondern ein ruhiges Arbeiten im Fluss.
Mittlerweile spinne ich regelmäßig. Mal ein paar Minuten zwischendurch, mal ganze Nachmittage. Das gleichmäßige Surren des Rads wirkt fast meditativ. Ich habe verschiedene Wollsorten ausprobiert und langsam ein Gefühl dafür entwickelt, wie sich jede Faser anders verhält. Manche gleiten sanft, andere brauchen mehr Zug, wieder andere springen förmlich auf, wenn der Drall sie erfasst.
3. Vom Faden zum fertigen Garn
Wenn die Spule voll ist, folgt der nächste Schritt. Das Verzwirnen.
Dafür wird das Rad einfach in die entgegengesetzte Richtung gedreht, so verbinden sich zwei gesponnene Fäden miteinander. Der gegenläufige Drall sorgt dafür, dass das Garn stabil wird und sich beim Stricken oder Weben nicht mehr aufdreht.

Nach dem Verzwirnen wickle ich das Garn zu einem Strang, binde ihn an mehreren Stellen ab und bade ihn in lauwarmem Wasser. Durch das Baden entspannt sich der Drall, die Fasern legen sich, und das Garn bekommt seine endgültige Struktur. Anschließend trocknet es über Nacht und wird danach zu Knäueln gewickelt. Fertig für das nächste Projekt.
Jedes Mal, wenn ich das fertige Garn in den Händen halte, staune ich ein wenig. Aus einer Handvoll lockerer Fasern ist ein fester, lebendiger Faden geworden. Kein Stück gleicht dem anderen. Jedes Garn trägt Spuren meiner Hand, meines Tempos, meiner Stimmung.
4. Lernen durch Erfahrung
Natürlich läuft längst nicht alles rund. Ich hatte eine Wollsorte, die mich fast zur Verzweiflung gebracht hat. Der Faden riss ständig und ließ sich kaum wieder ansetzen. Nach mehreren Versuchen wurde mir klar, dass sich die Fasern einfach anders verhalten. Sie verbinden sich weniger leicht und brauchen deutlich mehr Drall.
Also trat ich kräftiger in die Pedale, zog vorsichtiger aus und versuchte, das richtige Gleichgewicht zu finden. Das Spinnen wurde plötzlich anstrengend, fast verkrampft. Der sonst so ruhige Rhythmus war weg. Ich musste lernen, loszulassen und die Wolle zu beobachten, statt sie zu zwingen.
Solche Momente gehören für mich inzwischen dazu. Jede Faser verhält sich anders. Manche gleiten mühelos, andere fordern Geduld und Feingefühl. Ich verstehe jetzt, warum erfahrene Spinnerinnen oft sagen, dass man nicht nur die Technik lernen muss, sondern auch das Material. Es ist ein stiller Dialog zwischen Hand, Rad und Faser. Und wenn dieser Dialog gelingt, ist das Spinnen jedes Mal ein kleines Glück.
Ich habe auch gelernt, wann es besser ist, das Rad einfach stehen zu lassen, einen Tee zu trinken und später mit frischem Kopf weiterzumachen. Spinnen ist nichts, was sich erzwingen lässt. Es braucht Geduld, Wiederholung und Hingabe, und genau das macht es so wertvoll.
5. Ausblick – Vom Wollgarn zum Flachs
Mein Spinnrad läuft inzwischen zuverlässig, und das Spinnen gehört fest zu meinem Tagesablauf. Doch ein Ziel bleibt noch offen. Das Flachsspinnen.
Seit ich im Garten meinen eigenen Lein anbaue, träume ich davon, die selbst geernteten Fasern zu Garn zu verarbeiten. Noch fehlt mir der Mut. Flachs verhält sich ganz anders als Wolle, verlangt mehr Vorbereitung, Feingefühl und Erfahrung.
Aber ich spüre, dass der Moment näher rückt. Bald werde ich mich an die ersten Flachsfaser Versuche wagen. Schritt für Schritt, so wie bisher.
Begleite mich weiter auf meinem Weg zur Handspinnerin
Im nächsten Teil möchte ich zeigen, wie ich meinen ersten eigenen Flachs verspinne und was dabei anders ist als beim Wollgarn.
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