1. Botanisches Porträt
Wissenschaftlicher Name: Anthemis tinctoria L.
Familie: Asteraceae (Korbblütler)
Deutsche Namen: Färberkamille, Gelbe Kamille, Hundskamille, Färber-Hundskamille
Englische Namen: Golden marguerite, Yellow chamomile, Dyer’s chamomile
Beschreibung:
Die Färberkamille ist eine ausdauernde, krautige Pflanze mit einer Wuchshöhe von 30–60 cm. Ihr aufrechter, verzweigter Stängel ist behaart und oft rötlich überlaufen. Die wechselständig angeordneten, fiederschnittigen Laubblätter sind graugrün. Die leuchtend gelben Blütenköpfchen bestehen aus Zungen- und Scheibenblüten und haben einen Durchmesser von 2–4 cm. Blütezeit ist von Juni bis September. Die Früchte sind kleine Achänen mit einem häutigen Pappus.
Standort & Verbreitung:
Bevorzugt werden sonnige, trockene, kalkhaltige und nährstoffarme Böden. Heimisch in Mittel- und Südeuropa, dort häufig an Wegrändern, auf Magerrasen und in lichten Wäldern. Heute auch in naturnahen Gärten kultivierbar.
Ökologie:
Anthemis tinctoria ist trockenheitstolerant und eine wertvolle Nektarquelle für Bienen und Schmetterlinge. Sie trägt zur Erhaltung artenreicher Trockenstandorte bei und wird gelegentlich zur Begrünung eingesetzt.
2. Färbeeigenschaften
Färbende Pflanzenteile:
Blütenköpfchen (hauptsächlich), teils auch Blätter und Stängel
Färbende Inhaltsstoffe:
Flavonoide, v. a. Apigenin (gelb), Luteolin, Quercetin, Anthemidin, Patuletin. Der Farbstoffgehalt schwankt je nach Standort und Erntezeitpunkt.
Farbwirkung:
Erzielt werden leuchtende Gelbtöne, die sich mit Hilfe verschiedener Beizen ins grüngelbliche verändern lassen. Gute Lichtechtheit und Waschbeständigkeit.
Verarbeitung:
Traditionell werden die getrockneten Blüten mit Wasser extrahiert. Beizen verbessern Farbaufnahme und -nuancierung. Einsatz sowohl in Woll- als auch Leinenfärbung.
3. Historische Bedeutung und Verwendung
Traditionelle Nutzung:
Die Färberkamille wurde seit der Antike zur Gelbfärbung von Textilien genutzt. Die Römer setzten sie insbesondere für Wolle ein.
Dokumentierte Anwendungen:
Plinius der Ältere erwähnt Anthemis-Arten in der Naturalis historia als Färbemittel. Im Capitulare de villis Karls des Großen ist sie vermutlich unter den „herbae tinctoriae“ erfasst. Im Mittelalter war sie Bestandteil klösterlicher Färbergärten und ein geschätztes Färbekraut in der Wollverarbeitung.
Regionale Praxis:
In Süddeutschland wurde sie zur Leinenfärbung genutzt. In England diente sie im 16.–18. Jahrhundert der Tuch- und Teppichfärberei. Im Mittelmeerraum war sie Teil der traditionellen Seidenfärbung.
Mit der Einführung synthetischer Farbstoffe ab der Mitte des 19. Jahrhunderts ging die kommerzielle Bedeutung der Färberkamille stark zurück. Die **Entdeckung des Anilingelbs 1861** durch Carl Gräbe und Carl Liebermann führte zum nahezu vollständigen Verschwinden natürlicher Gelbfärbemittel aus der industriellen Produktion.
4. Eigene Verwendung
Ich färbe Baumwolle und Leinen im Färbebad, vorbehandelt mit einer Kaltbeize, um sehr leuchtende und haltbare Gelbtöne zu erzielen. Außerdem eignen sich die getrockneten Blüten sehr gut für Bundle-Dye-Färbungen.

