1. Botanisches Porträt
Wissenschaftlicher Name: Urtica dioica L.
Familie: Brennnesselgewächse (Urticaceae)
Deutsche Namen: Große Brennnessel, Haarnessel, Nesselkraut, Tausendnessel
Englische Namen: Stinging nettle, Common nettle, Great nettle
Beschreibung: Die Große Brennnessel präsentiert sich als kraftvolle, ausdauernde Staude mit einer Wuchshöhe zwischen 50 und 150 Zentimetern. Ihr aufrechter Stängel zeigt sich stark kantig und trägt charakteristische länglich-herzförmige Blätter mit grober Zahnung. Sowohl Stängel als auch Blätter sind mit den berüchtigten Brennhaaren besetzt, die das unverwechselbare Erscheinungsbild prägen. Von Juni bis Oktober erscheinen kleine, grünliche Blüten in hängenden Rispen. Als zweihäusige Pflanze trägt sie männliche und weibliche Blüten auf verschiedenen Exemplaren.
Standort & Verbreitung: Die Brennnessel ist nahezu weltweit verbreitet und bevorzugt nährstoffreiche, stickstoffhaltige Böden. Sie gedeiht an Waldrändern, auf Brachflächen und in der Nähe menschlicher Siedlungen. Als ausdauernde Staude entwickelt sie ein kräftiges Rhizom-System und erweist sich als sehr anpassungsfähig, verträgt jedoch keine Staunässe.
Ökologie: Als mehrjährige Staude sterben die oberirdischen Teile im Herbst ab und treiben im Frühjahr aus dem Wurzelstock neu aus. Sie dient als wichtige Raupenfutterpflanze für über 40 Schmetterlingsarten, darunter Admiral, Kleiner Fuchs und Tagpfauenauge. Im Garten lässt sie sich problemlos kultivieren, breitet sich jedoch durch Wurzelausläufer aus, weshalb eine Kontrolle der Ausbreitung meist erwünscht ist.
2. Färbeeigenschaften
Färbende Pflanzenteile: Die oberirdischen Teile bestehend aus Blättern und Stängeln erzeugen graugrüne Nuancen.
Färbende Inhaltsstoffe: Das Farbspektrum der Brennnessel resultiert hauptsächlich aus dem hohen Chlorophyllgehalt der grünen Pflanzenteile. Ergänzend wirken verschiedene Gerbstoffe als natürliche Beizmittel, die zur Farbfixierung beitragen und die Intensität der Färbungen beeinflussen.
Farbwirkung: Die oberirdischen Pflanzenteile ergeben nach einer Zinnvorbeize, gefolgt von einer Kupfernachbeize und einem Ammoniak-Entwicklungsbad ein charakteristisches kräftiges Graugrün. Diese Grüntöne variieren je nach Pflückzeitpunkt und Verarbeitungsweise zwischen olivgrün und sattgrün, wobei die natürliche Variation einen besonderen Reiz traditioneller Brennnessel-Färbungen ausmacht.
Verarbeitung: Für optimale Färbeergebnisse werden etwa 600 Gramm frische Brennnessel pro 100 Gramm Wolle benötigt. Die Grünfärbung erfordert ein komplexes Verfahren mit verschiedenen Beizen und Entwicklungsbädern. Eine Besonderheit der Brennnessel-Färberei liegt in der erheblichen Abhängigkeit des Farbtons vom Erntezeitpunkt und den Verarbeitungsbedingungen, was zu natürlichen Farbvariationen führt.
3. Historische Bedeutung und Verwendung
Traditionelle Nutzung: Die Brennnessel zählte über Jahrhunderte zu den wichtigsten einheimischen Färberpflanzen Europas und wurde parallel zur Fasergewinnung für textile Zwecke genutzt. Archäologische Funde belegen die Nutzung bereits in neolithischen Pfahlbauten der Schweiz aus dem dritten Jahrtausend vor Christus, was die Brennnessel zu einer der ältesten dokumentierten Nutzpflanzen Europas macht.
Dokumentierte Anwendungen: Das althochdeutsche Wort „nezzila“, aus dem sich unser heutiges „Nessel“ entwickelte, steht in engem Zusammenhang mit dem Wort „Netz“ und verweist auf die frühere Bedeutung bei der Herstellung von Nesseltuch. Historische Quellen belegen die weitverbreitete Nutzung der Brennnessel-Färberei in ländlichen Gebieten, wo sie als zuverlässige und kostengünstige Farbquelle für die häusliche Textilproduktion diente.
Kulturelle Bedeutung: Der Niedergang der Brennnessel als Färberpflanze setzte mit der Industrialisierung ein, als standardisierte Produktionsverfahren und synthetische Farbstoffe die natürliche Farbvariabilität als hinderlich empfanden. Heute erlebt die Brennnessel als Färberpflanze eine Renaissance in der ökologischen Textilkunde und bei der Wiederbelebung traditioneller Handwerkstechniken, wo ihre natürliche Farbvielfalt wieder als Qualitätsmerkmal geschätzt wird.
4. Eigene Verwendung und Erfahrung
Der Färbeprozess mit der Brennnessel ist tatsächlich aufwändig und dauert mehrere Tage. Dabei werden die jungen Brennnesselblätter mehrmals erhitzt und über Nacht stehen gelassen. Auch das Färbergut bleibt über Nacht im Farbbad liegen. Dadurch ergeben sich oft Unregelmäßigkeiten (Flecken), die ich besonders spannend finde. Ich färbe nur mit den obersten drei Blattpaaren und nur im Mai, um ein sehr geliebtes Graugrün zu erzielen. Auf alaungebeizten Baumwoll- und Leinenstoffen ist der Farbton eher hell, mit Eisenbeize erzielt man einen sehr dunklen Farbton.

