Ein Erfahrungsbericht vom Samenkorn bis zur spinnbaren Faser
Ein Quadratmeter Geschichte – Warum ich beim Projekt 1qm Lein mitmache
Ein einziger Quadratmeter kann viel erzählen – über Handwerk, Geduld, Wandel und darüber, wie eng Mensch und Natur einmal miteinander verbunden waren.
Als ich vom Mitmachprojekt „1qm Lein“ hörte, wusste ich sofort: Das ist genau das Richtige für mich. Die Idee, den gesamten Weg des Leins – vom Samenkorn bis zur spinnbaren Faser – selbst zu erleben, hat mich sofort begeistert. Ich wollte verstehen, wie aus einer zarten Pflanze nach vielen Arbeitsschritten ein Stück Stoff entstehen kann.
So habe ich im Herbst ein neues Beet vorbereitet – einen besonderen Platz in meinem Garten, reserviert für dieses Experiment zwischen Vergangenheit und Gegenwart.
Das Projekt lädt Menschen in ganz Deutschland ein, einen Quadratmeter Faserlein anzubauen, zu pflegen, zu ernten und schließlich zu verarbeiten.
Ziel ist es, das alte Wissen um die heimische Textilherstellung wieder greifbar zu machen. Ein kleines Stück Boden, um eine große Kulturtechnik neu zu entdecken.
Ein Beet voller Vorfreude – Vorbereitung und Aussaat
Das Beet lag den Winter über ruhig da, bereit für seinen besonderen Zweck. Am 10. April, dem 100. Tag des Jahres, war es dann so weit: die Aussaat. Dieser Zeitpunkt wurde früher traditionell für den Leinanbau genutzt und auch auch ich richte mich nach diesem symbolischen Tag. Denn 100 Tage nach der Aussaat wird geerntet.
Ich streute die feinen, glänzenden Samen gleichmäßig in die gelockerte Erde, arbeitete sie behutsam ein und wässerte vorsichtig. Dann begann das Warten. In den ersten Tagen war der Frühling trocken und windig, also goss ich regelmäßig, um den Keimprozess zu unterstützen. Schon bald zeigte sich zartes Grün: die ersten Leinpflänzchen reckten sich ans Licht.

Wachsen, Pflegen, Staunen – Die Entwicklung des Flachses
In den folgenden Wochen wuchs der Lein gleichmäßig und dicht. Anfangs nur wenige Zentimeter hoch, später kräftig und aufrecht, wie ein zartes, hellgrünes Meer im Beet. Ich befreite ihn regelmäßig von Beikräutern, damit er genug Platz und Licht hatte.

Als die Pflanzen etwa 50 Zentimeter erreichten, begann ich mir Sorgen um Wind und Regen zu machen. Mein Garten liegt recht offen, und Faserlein hat feine, empfindliche Stängel.
Ich baute daher eine Stützkonstruktion aus Weidenstäben und spannte dazwischen ein Gitter aus selbst gemachtem Textilgarn. So konnten die Pflanzen beim Wachsen einfach hindurchgleiten, bekamen aber Halt.
Diese einfache Lösung funktionierte wunderbar – wenn man mal davon absieht, dass es die Katzen nicht davon abgehalten hat, sich bei der Hitze zwischen die kühlen Stängel zu legen …

Mit jedem Tag wurde das Beet lebendiger. Zwischen den schlanken Stängeln öffneten sich bald die ersten zarten, himmelblauen Blüten. Sie blühten nur kurz, aber unermüdlich – jeden Tag neue.

Vom Blühen zum Reifen – Der Weg zur Ernte
Etwa zwei Wochen nach Ende der Blüte begann der Lein sich zu verfärben. Die unteren Stängel leuchteten gelblich, die Samenkapseln nahmen einen warmen Braunton an, das Zeichen für die sogenannte Gelbreife.

Obwohl die 100 Tage noch nicht ganz rum waren, habe ich mich entschieden, den Flachs zu ernten. Ich zog die Pflanzen mitsamt den Wurzeln aus dem Boden – das nennt man „raufen“ – und entfernte das wenige Unkraut dazwischen.
Dann band ich jeweils eine Handvoll Stängel zu Bündeln, zehn davon stellte ich aufrecht ins abgeerntete Beet. Diese Kapellen ließ ich einige Tage stehen, damit die Samen darin nachreifen konnten.

Wenig später begann der nächste Arbeitsschritt: das Riffeln, also das Entfernen der Samenkapseln. Da meine Menge überschaubar war, konnte ich sie einfach per Hand abstreifen.

Die Samenkapseln habe ich noch eine Weile zum Trocknen stehen gelassen. Später habe ich sie dann in einem Tuch zerrieben, portionsweise in eine Schüssel gegeben und durch Pusten und Schütteln die Spelzen von den Samen getrennt – ein Prozess, der erstaunlich gut funktioniert.

Ich habe dabei über 200 g Samen erhalten. Ein Teil davon ist bereits der Samen für nächstes Jahr. Der Rest wandert nach und nach ins Müsli – sehr lecker.
Zwischen Tau und Sonne – Röste und Trocknung
Seit dem 7. August lagen die geriffelten Stängel auf der Wiese – ausgebreitet für die Röste, bei der Feuchtigkeit und Mikroorganismen helfen, die Fasern vom Holzkern zu lösen.
Doch der Sommer war ungewöhnlich trocken, und der Prozess zog sich hin. Immer wieder prüfte ich den Fortschritt, hob einzelne Stängel an, betrachtete die sich verändernde Farbe und Struktur. Es war ein langsames Warten, bei dem die Natur den Rhythmus vorgab.

Am 31. August schließlich beendete ich die Röste. Die Halme waren ausreichend von Tau und Regen durchfeuchtet, die Fasern ließen sich bereits leicht lösen. Ich trocknete die Bündel an einem regengeschützten Platz im Holzlager und hängte sie später im Keller auf. Dort warteten sie auf die nächste Etappe – das Brecheln, bei dem die Fasern vom Holzkern getrennt werden.

Auf dem Weg zur Faser – Vom Brecheln bis zur spinnbaren Leinwand
Nachdem die gerösteten Bündel gut getrocknet waren, begann der nächste, spannende Teil des Prozesses: die Fasern freizulegen.
Traditionelle Geräte wie Breche oder Hechel besitze ich nicht, also musste ich ein wenig improvisieren – und das machte den ganzen Vorgang umso persönlicher.
Ich nahm mir kleine Bündel vor und brach die Halme zunächst von Hand, um die Holzanteile zu lockern. Anschließend klopfte ich sie mit einem Holzhammer weich, Stück für Stück, bis sich der Faserverbund löste.
Danach zog ich die Stängel über die Kante eines Holzbretts, wodurch sich der größte Teil der holzigen Bestandteile, der sogenannten Schäben, bereits löste.


Für die Feinarbeit ersetzte ich die traditionelle Hechel kurzerhand durch eine alte Haarbürste. Immer wieder zog ich die Fasern hindurch, bis sie sich voneinander lösten, letzte Schäben abfielen und die kürzeren Fasern – das Werg – ausgekämmt waren.

Zuerst war ich überrascht, wie viel Material bei diesem Vorgang verloren geht und wie wenig spinnfähige Faser letztlich übrig bleibt. Doch die feinen, glänzenden Flachszöpfchen, die sich am Ende in meinen Händen sammelten, machten die Mühe mehr als wett.
Auch die ausgekämmten Fasern hebe ich auf – sie werden später ein zweites Leben finden, vielleicht in Form eines kleinen Garns oder eines Papierprojekts.

Es ist erstaunlich, wie sehr man durch diese Arbeit den Wert von Textilien begreift.
Jede Handbewegung, jeder Schlag mit dem Hammer, jedes Auskämmen bringt einem den Stoff näher – nicht nur im wörtlichen Sinn.
Schlussgedanke
Ein Quadratmeter – mehr braucht es nicht, um eine ganze Geschichte zu erzählen.
Vom Samenkorn bis zur Faser, von der Erde bis zur Handarbeit – dieses kleine Stück Garten hat mir gezeigt, wie eng alles miteinander verwoben ist.
Jeder Arbeitsschritt, jede Wartezeit, jeder Handgriff erinnert daran, dass Textil nicht nur Material ist, sondern Ausdruck von Zeit, Achtsamkeit und Verbindung.
Und vielleicht beginnt genau hier, auf einem Quadratmeter Lein, die Rückkehr zu einem bewussteren Umgang mit dem, was uns kleidet.
Die Reise endet für mich nicht beim Hechelgut. Ich werde die gewonnenen Fasern selbst verspinnen. Dafür lerne ich gerade das Handspinnen. Erste Erfahrungen damit habe ich hier aufgeschrieben.
Aus dem Garn möchte ich mir dann einen Gürtel weben.Ein ganz persönliches Stück, das die Verbindung zwischen Pflanze, Handwerk und Alltag spürbar macht.
Ich freue mich, wenn du mich auf diesem Weg begleitest oder deine eigenen Erfahrungen im Faserhandwerk mit mir teilst.
